Viral vor VÖ - die Alliteration der Träume
Ein neues Lied, das mir einen, wie man so schön sagt »viralen Hit« bei Instagram beschert hat - es haben einfach über 100 000 Leute ein Video von mir angeschaut, ist das zu fassen?
„Man(n) darf ja nichts mehr sagen“ habe ich letzten Sommer für die »Sternstunden des Kabaretts« geschrieben. Wie ihr euch bei der Inszenierung von alten Texten (was wir bei den Sternstunden gemacht haben) vielleicht vorstellen könnt, war die Frage, welche davon gut gealtert sind und was das für die Auswahl und Aufführung bedeutet, eine zentrale, die uns viel beschäftigt hat. Das Lied war für mich in gewisser Hinsicht die Antwort auf die Frage, warum wir uns damit überhaupt auseinandersetzen müssen, welche Texte wir wie überliefern und welche sprachlichen »Gepflogenheiten« wir hinterfragen sollten. Sexismus und Rassismus verschwinden nicht, nur weil man bestimmte Wörter aus der Sprache streicht, aber es geht ja eben auch nicht nur um einzelne Wörter. Es geht um die Frage, welche Haltungen die Menschen, denen wir Bühnen geben, haben und welche Haltungen wir dadurch reproduzieren und legitimieren. Und mir persönlich geht es außerdem auch noch darum, dass sich alle (einschließlich mir) bei einer Aufführung wohlfühlen. Diejenigen, die sich am lautesten darüber beklagen, dass »Man ja nichts mehr sagen darf« sind meist genau die, die die meiste Redezeit haben, die meiste Bühnenzeit und die am besten und breitesten repräsentiert sind und das ist eben leider der (wie auch immer alte) weiße Mann. Ich finde es schon interessant, wie diejenigen, die sagen, dass es ja »nur Sprache« ist, nicht den minimalen Aufwand betreiben können, bestimmte Wörter und Ausdrücke wegzulassen. Würde das ihre Haltung verändern? Wahrscheinlich nicht, aber diesen Schritt überhaupt zu gehen, würde schon bedeuten, etwas von den eigenen Privilegien zu nutzen, um denjenigen, die diese nicht genießen, entgegen zu kommen. Es gibt Studien, die zeigen, dass sexistische Witze u.a. die Toleranz gegenüber frauenfeindlichem Verhalten und sogar die eigene Bereitschaft zu sexuellen Übergriffen erhöhen und gleichzeitig den Selbstwert von Frauen verringern. Und ich selbst bemerke immer wieder, wie ich, wenn ich beginne, mich in meinem sprachlichen Ausdruck zu reflektieren, auch beginne mich stärker in meinen Gedanken zu reflektieren. Dass ich Gedankengänge, Bewertungen, Einordnungen, die ich vornehme, als Teil meiner Sozialisierung akzeptiere, aber gleichzeitig immer besser darin werde, die Anteile davon, die ich als problematisch einordne, zu erkennen und mich gedanklich zu korrigieren.
In den überlieferten Texten gab es auch äußert progressive und nicht nur »für die Zeit« feministische Meisterwerke von (Überraschung) Frauen. Unter anderem durfte ich sensationelle Texte z.B. über die »Last der Schönheit« von Lina Loos kennenlernen, mich großartigen Musikerinnen wie Hana Hegerová und Trude Hesterberg widmen und mir »Raus mit den Männern« von der großartigen Claire Waldoff von der Seele singen.
Dann ist bei alledem »Man(n) darf ja nichts mehr sagen« entstanden und weil es ja in solchen Kontexten immer wichtig ist, zu betonen, dass natürlich nicht »alle Männer« gemeint sind, finde ich es umso schöner, dass ich dieses Lied zusammen mit einem Mann zu Ende geschrieben hab. Jonas hat einige Passagen getextet und auf andere wiederum bestanden, die mir »zu hart« erschienen. Der Moment, als ich das Lied das erste Mal gesungen hab, war für mich ehrlich gesagt nicht leicht. Und es ist jedesmal, wenn ich das Lied spiele auch ein schwieriges Gefühl dabei. Das Wissen, dass ich damit manchen Menschen auf die Füße trete. Dass es kein gefälliges Lied ist, dass es anklagt und rebelliert. Bei allem, was momentan auf der Welt passiert, allen Rückschlägen, die es an so vielen Fronten gibt, ist für mich die vielleicht wichtigste Lehre aus diesem Lied: Widerstand ist unangenehm, er kostet Energie, er tut weh und er ist, in Zeiten wie diesen, überlebenswichtig.