Laura Braun deutsche Liedermacherin und Liedermacher

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Wandern, Flugscham und das Meer

Ich sitze im Flugzeug und habe zwei Wochen Portugal hinter mir. Urlaub. Das ist ne Weile her, dass ich sowas das letzte Mal gemacht hab. Ich bin zusammen mit 4 Freundinnen den Rota Vicentina, oder auch den Fishermanstrail (oder, wie wir gesagt haben, den Fisherwomanstrail) gelaufen. Ein unglaublich malerisch schöner Küstenwanderweg, der an der Algarvenküste entlangführt. Ellenlange Strände, überall haben Blumen geblüht, wir haben den absolut perfekten Wetterzeitraum erwischt, sodass vorher alles nochmal schön nass geworden ist, aber wir trocken geblieben sind. Als ich das erste Mal am Meer war, bin ich wirklich emotional geworden. Mir ist schlagartig bewusst geworden, dass man sich nicht an Gerüche erinnern kann und dieser Geruch vom Meer hat mich schwer emotional werden lassen.

Ich hab eine Weile gebraucht, um im Urlaub anzukommen. Der Wandermodus hat mir sehr geholfen, weil wir morgens früh los sind und das Laufen, das Ranschaffen von Verpflegung und die Planung mir das trügerische Gefühl von Produktivität gegeben haben. Am Strand zu liegen, hätte ich wahrscheinlich nicht ausgehalten. Ich bin vor dem Urlaub nicht annähernd mit allem fertig geworden, was ich noch machen wollte/sollte und meine To-Do-Liste hat mich trotz körperlicher Erschöpfung den ein oder anderen Abend wach gehalten. Genauso eine leichte Panik, dass ich zwei Wochen lang kein Geld verdiene, aber dafür ganz schön viel ausgebe.

Was macht man mit solchen Gefühlen? Ich konnte sie zum Glück ganz gut akzeptieren und nicht noch Druck entwickeln, mich jetzt aber ganz effektiv erholen zu müssen, sondern es mehr als Teil eines inneren Prozesses zu sehen. Es wurde zum Runninggag, dass ich immer wieder gesagt hab:  „Drei Tage Bodensee hätten es auch getan“. Und auch, wenn das Meer zum Niederknien und die Landschaft zum Weinen schön waren und ich mir sicher bin, dass mir die Zeit unglaublich gut getan hat, hatte ich doch einige Erkenntnisse: Großer örtlicher Abstand schafft nicht automatisch großen inneren Abstand. Erholung ist wichtig, aber nichts ist erholsamer als Sicherheit und solange ich das Gefühl habe, mir den Urlaub weder finanziell noch arbeitstechnisch leisten zu können, gleicht der dadurch entstehende Stress doch schon wieder einiges an Erholung aus. Hätten es drei Tage Bodensee auch getan? Ich weiß es nicht. Aber ich spüre zunehmend, wie mich die kognitiven Dissonanzen bei solchen Reisen begleiten und anstrengen. Ich will nicht fliegen, ich tu es trotzdem. Ich denke über die Menschen nach, die im Flughafen arbeiten, den ganzen Tag kein Tageslicht sehen und in dem Parfumdunst vom Duty Free Shop stehen müssen. Ich denke über den Uberfahrer nach, der uns erzählt, dass er für eine 20 minütige Fahrt nur 8€ bekommt, aber genügend Geld für die Tagesmiete seines Autos zusammen kriegen muss. Ich denke an Wohnraum, der durch Air‘BnB‘s blockiert wird und merke, wie es mich ankotzt, ein Teil dieses Systems zu sein, es zu füttern. Sehe ein Meme bei Instagram: Die Überschrift „im Karlcenter“, eine Sprechblase mit Telefon „Der Kapitalismus ist Schuld, kann ich sonst noch etwas für sie tun?“

Ich kenne selbst auch den Druck, das Gefühl, etwas Wesentliches zu verpassen, wenn man nicht so und so viele Reisen unternommen hat, nicht mindestens ein Jahr lang im Ausland gelebt hat, wie „Urlaub“ oder „Reisen“ das Statussymbol auch derjenigen ist, die sich über solche Dinge wie Statussymbole erhaben fühlen, aber irgendwie trotzdem finden, dass Menschen, die nicht gereist sind, weniger spannend sind.

Drei Tage später. Ich bin wieder Zuhause und das Arbeitsleben hat mich doch recht schnell wieder im Griff. Bin ich erholt? Ja. Ich fühle mich energiegeladen, habe Lust zu arbeiten, hab mich auch während dem Urlaub schon drauf gefreut, weiter zu machen. Was für ein Luxus, sich auf die Arbeit zu freuen. Ich spüre die Erholung wirklich im Bauch, bin gut drauf. Viel zu tun, aber gestresst fühle ich mich deswegen nicht. Ich erinnere mich daran, wie ich am Meer stand und eine Welle des Glücks durchfährt mich. Ein Resümee zum Schluss? Drei Tage Bodensee hätten wahrscheinlich auch was getan, aber dieser Urlaub war schon herausragend schön. Was für ein unglaubliches Privileg so etwas machen zu können. Trotzdem hat sich etwas in mir verändert. Ich merke, wie der Urlaub mir paradoxerweise nochmal gezeigt hat, wie wenig selbstverständlich es ist, so etwas zu machen und mit wie viel Selbstverständlichkeit ich es machen möchte, obwohl ich diese Form von Urlaub (irgendwohin fliegen, lange weg sein, nicht campen) in meinem Leben nur wenige Male gemacht habe. Wie bei so vielem steht auch hinter dem Tourismus eine riesige Industrie, die uns glauben machen möchte, dass die schönen Orte in unserer nahen Umgebung viel weniger besuchenswert und schön sind, als welche für die wir lange Strecken auf uns nehmen müssen. Und auch, wenn mir das selbstausbäuterische Potenzial in diesem Gedanken durchaus bewusst ist, denke ich, dass ich gerne bereit bin auch weiter auf regelmäßige Urlaube zu verzichten, um ein Leben führen zu können, in das ich gerne wieder zurückkehre.

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